Hoffnung, nicht Optimismus
Peter F. Schmid
Der Hoffnung geht es nicht um Zukunft. Hoffnung ist eine existenzielle Grundhaltung in der Gegenwart – sich selbst und anderen gegenüber. “Dum spiro, spero (Solange ich atme, hoffe ich)“ drückt aus, dass es sich dabei um eine grundlegende Dimension des Lebens handelt.
Hoffnung hat nichts mit Optimismus bezüglich Zukunftsperspektiven zu tun, ist nicht die Erwartung eines positiven Ausgangs. Sie ist nicht eine innere Reise in künftige, bessere Zeiten und auch nicht die Überzeugung, dass etwas „schon gut werden“ wird. In Bezug auf einen selbst ist sie nicht Sehnsucht oder eine geduldige Haltung oder Warten auf etwas. In Hinsicht auf Beziehungen zu anderen, ist sie nicht eine Strategie, sich Zuwendung von anderen, die einem wichtig sind, vorzustellen oder herbeizuführen. Beides sind zentrale Kompetenzen, etwas auszuhalten und auszuharren, wichtige Vermögen, die Kleinkinder und Kinder lernen müssen, um Trennung, Verlust und Einsamkeit ertragen zu können. Letztlich sind diese Fähigkeiten auf die Wiederherstellung eines paradiesischen Zustandes ausgerichtet — illusionäre Allmachtsphantasien in Situationen, in denen man sich ohnmächtig, hilflos, verloren fühlt. So erleben wir oft unsere Klienten und Klientinnen, wenn sie versuchen, mit ihren Problemen zurechtzukommen.
Hoffnung ist etwas wesentlich anderes – eine spezifische Qualität, Person zu sein (in der Bedeutung, ganz selbst sein zu können und ganz mit anderen sein zu können). Sie ist mehr als die Fähigkeit, Furcht und Verzweiflung etwas entgegenzusetzen, indem man sich vorstellt, dass es besser werden kann. Wie ihre Schwestern Vertrauen und Liebe ist Hoffnung eine aktive Haltung, das gerade Gegenteil zum Tod, die Kunst, ganz in der Gegenwart zu sein und ganz dem/der oder den anderen gegenwärtig zu sein.
Daher ist Hoffnung eine personzentrierte Grundkategorie. Man kann Hoffnung als die Stimme der Aktualisierungstendenz verstehen. Sie beruht auf dem Vertrauen, dass die Möglichkeit ebenso wichtig ist wie die Wirklichkeit. Kann, soll Therapie Hoffnung fördern? Oder „falschen Hoffnungen“ vorbeugen? Im Leben wie in der Therapie besteht die Aufgabe nicht darin, Hoffnung zu machen. Die Aufgabe ist zu vertrauen statt auf etwas abzuzielen oder etwas zu machen. Daher ist Hoffnung immer revolutionär, indem sie den Status Quo in seinem An-Spruch und seiner Heraus-Forderung ernst nimmt – wie es der Personzentrierte Ansatz ist in seiner Herangehensweise an das Leben, an einen selbst und an Beziehungen, Psychotherapie und Beratung eingeschlossen.
- Peter F. Schmid, Österreich
Univ.Doz. HSProf. Mag. Dr. Peter F. Schmid, Zusammenarbeit mit Carl Rogers in den 80ern, Begründer der personzentrierten Ausbildung in Österreich (1969); Mitbegründer des Weltverbands (WAPCEPC), des Europäischen Netzwerks (PCE Europe) und der beiden großen internationalen personzentrierten Fachzeitschriften PERSON und Person-Centered and Experiential Psychotherapies; Lehrer an mehreren europäischen und amerikanischen Universitäten in den Fächern Psychotherapiewissenschaft und Praktische Theologie; 2009 Carl Rogers Award (Preis) der APA “für herausragende Beiträge zur Theorie und Praxis der Humanistischen Psychologie”.
Zurzeit an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien (Leiter der Abteilung für Personzentrierte Psychotherapiewissenschaften, 2006-2014), Ausbilder am Institut für Personzentrierte Studien (APG•IPS) und Gruppen-Psychotherapeut in privater Praxis. Autor und Mitherausgeber von 26 Büchern (zuletzt: Handbook of PCE, 2013) & ca. 400 wissenschaftliche Publikationen; Arbeitsschwerpunkte: Grundlagen des PCA und Anthropologie, Epistemologie & Ethik des PCA.
Dramatiker (Die Personzentrierte Trilogie, 1990-2000, Faust III – Der Tragödie Dritter Teil, 2018) und Leiter der Theatergruppe BRETTERHAUS.
Web: www.pfs-online.at, www.pca-online.net
Hoffnung in der Verzweiflung: Schatten bestätigen, dass es Licht gibt
Suzanne Keys
Der Großteil meiner Arbeit als Psychotherapeutin mit 16-18-Jährigen findet in den dunklen Bereichen der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit statt. Die Jugendlichen haben Ablehnung, Missbrauch, Diskriminierung und Ausgrenzung erfahren. Sie sind depressiv, ängstlich, wütend und oft voller Selbsthass, mit dem Wunsch zu sterben.
Wo ist die Hoffnung?
“Die Schatten bestätigen nur, dass es Licht gibt” war das Bild, das mir eine 18-Jährige beschrieb als sie sich weigerte, einen Evaluationsbogen am Ende unserer Therapie auszufüllen. Sie hatte jahrelang den Wunsch zu sterben und hat ein ganzes Jahr lang in unseren Therapiestunden kaum gesprochen. Wird sie die Zeit an der Universität überleben? Wird sie glücklich sein? Wer weiß, aber es gibt Hoffnung.
Die Hoffnung liegt in Rogers’ Kartoffeln, die dem Licht entgegenwachsen, obwohl die ungünstigen Bedingungen eher in Richtung Tod als Wachstum hindeuten. Die heutigen Bedingungen sind ungünstig für Menschen und andere Lebewesen: Missachtung, Gleichgültigkeit, Beherrschung und Ausbeutung. Dennoch liegt Hoffnung in der Möglichkeit zur Veränderung und Transformation, auch wenn nicht sicher ist, wohin das Ergebnis führt, auch wenn unsicher bleibt, ob wir letztlich überleben oder nicht.
Hoffnung bedeutet, aktiv daran zu arbeiten, jene Bedingungen zu schaffen, unter welchen Wachstum möglich sein kann. Auch wenn wir wissen, dass es dafür keine Garantie gibt oder auch wie es konkret aussehen könnte.
Diese Bedingungen zu schaffen, geht über die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Therapeut*in und Klient*in in der Therapiestunde hinaus. Die Herausforderungen liegen vielmehr in Ungleichheit und Unterdrückung, die zu Leid und Zerstörung führen. Das heißt, dass es zu verstehen gilt, welche Rolle ich, und der Berufsstand der Psychotherapeut*innen, bei der Aufrechterhaltung dieser Bedingungen spielen.
Hoffnung liegt in der aktiven Arbeit darin, in wahrhafter Beziehung mit sich selbst, mit Anderen und der Welt zu sein, auch wenn das bedeutet, sich unangenehmen Tatsachen zu stellen, wie etwa der weißen Mehrheit anzugehören und privilegierte Positionen inne zu haben.
Hoffnung heißt den Tatsachen ins Auge zu blicken, ihnen mit Empathie zu begegnen und dabei zu bleiben, sogar wenn das heißt versuchen zu verstehen, wie eine Person mit dem Auto in eine Menschenmenge fahren und Menschen umbringen kann.
Hoffnung heißt Verbundenheit trotz und wegen unserer Unterschiede.
Hoffnung heißt auf sich selbst zu achten als “Akt politischer Kriegsführung”.
Die Hoffnung heißt, dass das Zusammensein mit internationalen Kolleg*innen uns als Unterstützung und Ressource dient, um all die Bereiche der Verzweiflung auszuhalten.
- Suzanne Keys, Vereinigtes Königreich
Suzanne wurde in Haiti geboren und wuchs in Nordirland auf. Nach ihrem Französisch- und Italienisch-Studium an der Cambridge University arbeitete sie als Lehrerin in der Elfenbeinküste und Frankreich. Seit 17 Jahren arbeitet sie als personzentrierte Psychotherapeutin mit jungen Menschen in London.
Sie hat sich mit der Ausbildung von Psychotherapeut*innen in UK, Frankreich und Martinique befasst. Sie war Mit-Herausgeberin von Sonderausgaben des PCEP Journal über Gender und Eco-Therapie und mit PCCS Books: Idiosyncratic Person-Centred Practice and Person-Centered Work with Children and Young People.
Geschrieben hat sie über personzentrierte Praktik und Menschenrechte, Ausbildung, Beeinträchtigung, Erziehung, Andacht, Ethik und Liebe.
Sie war Teilnehmerin der Gründungsversammlung des WAPCEPC und Gremiumsmitglied bei BAPCA (British Association for the Person-Centred Approach) und NEAPCCP (Network of the European Associations for Person-Centred Counselling and Psychotherapy).
Zur Zeit ist sie Mitglied des Organisationsteams für Psychotherapeut*innen und Berater*innen für soziale Verantwortung in UK.
Carpe diem: eine transformative Wende für die personzentrierte Praxis?
Maureen O'Hara
1969 umriss Carl Rogers in einer Rede vor Absolventen der Sonoma State University die radikalen Veränderungen, die während seines Lebens stattgefunden hatten und schloss daraus, dass eine dramatische kulturelle Wende bevorstehe, die nicht nur die äußere Welt, sondern auch die innere Welt der menschlichen Psyche verändern würde.
Obwohl Viele auf den damaligen kulturellen Umbruch mit Angst reagierten — Angst vor sozialen Umwälzungen, vor Verlust von gesellschaftlichen Konventionen und sozialer Kontrolle – stellte Rogers die kreative und emanzipatorische Möglichkeit, die damit verbunden ist, in den Mittelpunkt. Obwohl sich damals wie heute konservative Kräfte, auch unter den Psycholog*innen, dafür stark gemacht haben, diesen emanzipatorischen Bewegungen zu widerstehen, hörte Rogers eine Generation, die nach Wegen suchte, auf die Herausforderungen ihrer Zeit zu antworten, ohne dabei nur alte Lösungen anzuwenden, sondern neue Strategien zu entwickeln, die diese neue Art des Seins widerspiegeln sollten. Für Viele stellte die PZT eine wirksame neue Technologie dar, um bessere Ergebnisse in der Ausbildung, Beratung und Psychotherapie zu erreichen, was eine Herausforderung gegenüber der damals vorherrschenden psychoanalytischen und verhaltenstherapeutischen Praxis darstelle. Doch für Rogers und seine Kolleg*innen ging es insgesamt um etwas viel Radikaleres. Diese neuen Seins- und Denkweisen brachen mit den philosophischen Gegebenheiten des Modernismus und brachten eine radikale Wende hin zum Postmodernismus – eine Wende weg von den objektivistischen und transaktionalen Konzepten des Modernismus hinsichtlich des Verhaltens einzelner “Dinge” hin zu einer relationalen und kontextualen Sichtweise, die Realität als holistischen, sich entwickelnden Prozess versteht. Viele Beobachter*innen sind der Ansicht, dass menschliche Gesellschaften und Planetensysteme, die Basis für unser Überleben und Wohlbefinden, derzeit einen kritischen Punkt erreichen, der möglicher Weise bald irreversibel sein wird. Doch ein anderes, hoffnungsvolleres Szenario ist möglich und umsetzbar. Oft entsteht gerade innerhalb eines scheinbar chaotischen Kontextes ausreichend Diversität und ungebundene Energie für kreative Veränderungen. Uneingeschränkte Freiheit eröffnet oft Räume für Innovation und menschlichen Erfindungsgeist. Jene Kräfte, einst gebunden an die Unterstützung großer starrer Strukturen, werden frei, um diese wahre Veränderung zu fördern. Mit der Präsentation aktueller Beispiele wird dieser Vortrag zeigen, wie die PZ Gemeinschaft Teil dieser transformativen Dynamik werden könnte, u.zw. in humanisierenden Initiativen auf der ganzen Welt, welche die grundlegenden personzentrierten Prinzipien, die vor über 60 Jahren entstanden sind, verkörpern.
- Maureen O'Hara, USA
Dr. Maureen O'Hara ist Professorin für Psychologie an der National University, La Jolla, CA, Präsidentin des International Futures Forum-US und emer. Präsidentin der Saybrook Graduate School, San Francisco. Gemeinsam mit den US-amerikanischen Psychologen Dr. Carl R. Rogers, John K. Wood und der Psychologin Natalie Rogers, hat Maureen dazu beigetragen, den personzentrierten Ansatz in Großgruppen zu entwickeln. Sie hat darüber hinaus viele Jahre Psychotherapeut*innen in den USA und Brasilien ausgebildet. In letzter Zeit hat sie sich mit größeren Zusammenhängen beschäftigt, wie etwa mit der psychologischen Herausforderung des Klimawandels, den Schattenseiten virtueller Organisationen, der kulturellen Rolle des Hochschulwesens im Rahmen des Kulturwandels, mit der Beziehung zwischen Kulturwandel und tiefenpsychologischer Anpassung. Von Kolleg*innen wurde ihr der Donald N. Michael Award verliehen, der Carl Rogers Heritage Award vom US-Verband für PsychologInnen (American Psychological Association) sowie der Distinguished Lifetime Achievement Award. Maureen war von 2009-2010 Präsidentin der APA Division 32, der Gesellschaft für Humanistische Psychologie. Sie ist angesehenes Mitglied der Kalifornischen Vereinigung für Ehe und Familientherapie, Mitglied der World Academy of Art and Science, Mitglied des US-Verbandes für Psycholog*innen, Mitglied des Meridian Institute on Governance, Leadership Learning and the Future und Gründungsmitglied des International Futures Forum in St. Andrews, Schottland. Sie ist Vorstandsmitglied der Internationalen Gesellschaft für Humanistische Psychologie. Sie hat über 50 Buchkapitel und Artikel veröffentlicht.
Rogers ernst nehmen
Bernie Neville
Jene, die über Carl Rogers’ Arbeit schreiben, legen den Schwerpunkt auf seinen Beitrag zur Psychologie. Selbst Autoren, die sich mit dem personenzentrierten Ansatz identifizieren, nehmen ihn in der Regel als Philosoph nicht ernst. Doch, so wie Rogers selbst bemerkte, ist in der Arbeit von Psychotherapeut*innen deren persönliche Philosophie erkennbar – die Ansichten und Konzepte, die grundlegend in der Wahrnehmung ihres Selbst liegen und deren Verständnis dieser Art von Welt, auf der wir uns befinden. Er bekräftigte, dass die eigene Philosophie in Bewegung ist und durch Erfahrung beeinflusst wird. Das ist in seinem Fall ganz klar. Jene Ideen, die in seinen frühen Formulierungen noch nicht entwickelt sind, werden später stärker ausgedrückt, bekräftigt von seinen eigenen Erfahrungen. Seine organische Philosophie verschiebt den Fokus von der Autonomie der Klient*innen zu unserem Eintauchen in einen kosmischen Prozess.
Rogers’ Vorstellungen sind nach wie vor einflussreich in der Beratungs- und Psychotherapieausbildung, nicht nur in personzentrierten Ausbildungseinrichtungen. Leider wird Rogers’ Theorie bei derartigen Ausbildungsprogrammen oft auf die Darstellung des Notwendigen und Hinreichenden beschränkt, die als Teile einer therapeutischen Technik dargestellt werden, obwohl Rogers davor gewarnt hat, dass Psychotherapeut*innen, die diese Bedingungen ausschließlich als Technik einsetzen, nicht erfolgreich sein werden. Darüber hinaus gibt es in der personzentrierten Community Viele, die sich mit einem konventionellen humanistischen Verständnis von Rogers’ Position wohler fühlen, so wie er diese in seinen frühesten Formulierungen dargelegt hat. Viele sind der Ansicht, dass Rogers “sich verrannt hat” in seinen späteren Jahren und seinen soliden, wissenschaftlichen, Evidenz basierten Ansatz gegen ein Interesse an Transzendenz eingetauscht hat. Sie glauben, dass der personzentrierte Ansatz nur dann glaubwürdig bleiben kann, wenn wir das, was Rogers in seinen späteren Jahren sagte, ignorieren oder vergessen.
Ich behaupte, dass Rogers’ organische Philosophie, ebenso wie seine Psychologie, vom Ansatz her radikal ist und ernst genommen werden muss. Ich glaube, dass ihm auf Grund seines Gesamtwerkes ein Platz, ebenso wie Spinoza, Goethe, Jung und Whitehead, unter den Philosophen der radikalen Aufklärung gebührt.
- Bernie Neville, Australien
Bernie Neville kam erstmalig in Kontakt mit Therapie und Beratung während seiner Zeit als nicht ausgebildeter Schulberatungslehrer in den 1960er Jahren. Bald entdeckte er Carl Rogers und den personzentrierten Ansatz, was seinen Zugang zu Erziehung und Beratung seither verändert hat. Als Universitätsprofessor in diesen beiden Bereichen hatte er großes Interesse daran, sowohl die Ideen von Rogers und Jung als auch ökopsychologische Ideen in die Praxis von Lehre und Beratung/Therapie einzubringen. Zu seinen Büchern zählen: “Educating Psyche: emotion, imagination and the unconscious in learning”, “Olympus Inc.: intervening for cultural change in organizations” und “The life of things: therapy and the soul of the world”. Bis zu seinem erst kürzlich erfolgten Ruhestand war er Professor für Ganzheitliche Psychotherapie und Beratung am Phoenix Institute in Australien. Derzeit ist er als außerordentlicher Professer für Beratung und Psychotherapie an der Auckland University of Technology tätig.