Die Tyrannei der Hoffnung und die Transformative Tendenz

Manu Bazzano

Trotz des naturalistischen Festhaltens der Personzentrierten Therapie am organismischen Erleben, war sie von Beginn an ein Auffangbecken für second-hand Metaphysik. Dies wird in einigen ihrer Formulierungen deutlich – z.B. im Begriff der formativen Tendenz. Diese, „sowohl im interstellaren Raum als auch in Kristallen und Mikroorganismen sowie im komplexeren organischen Leben und beim Menschen nachgewiesen“ (Rogers, 1980a, 2007, S. 83), ist ein teleologisches Modell der organischen Entwicklung. Demnach gibt es eine grundlegende Ordnung, die jede Entwicklung in letzter Konsequenz zu einem guten Ende führt.
Wie bei jeder second-hand Metaphysik, ist die formative Tendenz ein Schatten Gottes, das mächtige Andere, das in irgendeiner Verkleidung zu unserer Rettung auftauchen wird. Dieses Modell ist die Grundlage für „Hoffnung“; es manifestiert sich über die anthropozentrische Zuschreibung, dass es einen Sinn im Leben gibt und wohltätige Absichten hinter den Zeitabläufen liegen. Geschichtlich betrachtet, war Hoffnung jedoch die Basis für Tyrannei. Mit dem gegenwärtigen Ansteigen von Populismus, Bigotterie und der extremen Rechten in vielen Teilen der Welt, mit der zunehmenden Unterdrückung auf Grund von Klasse, Rasse, Alter, Fähigkeiten, sexueller Orientierung oder Gender Identität, nährt Hoffnung einen wunderbaren Tagtraum, in dem wir schwelgen können, anstatt aktiv an transformativem Geschehen mitzuwirken.
Andere Entwicklungstheorien, die unter anderem aus der Quantenphysik Nutzen ziehen, sprechen von aktiven und reaktiven natürlichen Kräften. Während reaktive Kräfte sich ausschließlich anpassen, ziehen aktive Kräfte Vergnügen daraus, Unterschiede zu bekräftigen. Der Personzentrierte Ansatz kann wiederbelebt werden, indem wir uns mehr an den aktiven als an den reaktiven Kräften ausrichten. Um genau das zu tun, müssten wir die (transzendentale) „formative Tendenz“ hinter uns lassen zugunsten der (innewohnenden) „transformativen Tendenz“ (Rud, 2016). Dieser Moment der Transformation hat weder ein bestimmtes Ziel noch einen bestimmten Zweck. Er „aktualisiert“, aber seine kreative, wunderbare Subversivität ist einfach der Spielplatz der aktiven Kräfte, ein Ort, an dem wir lernen können, die aktiven Kräfte in Individuen und Gesellschaften zu entdecken und zu fördern.

  • Manu Bazzano, Vereinigtes Königreich
    Person-centred therapist/supervisor. Studied eastern meditation since 1980, ordained in the Soto/Rinzai traditions of Zen in 2004. Author/editor of many books including Zen & Therapy, After Mindfulness, Therapy& the Counter-tradition, Revisioning Person-centred Therapy and Nietzsche and Psychotherapy. Lecturer at the University of Roehampton, London. www.manubazzano.com

Zuhören als Sein: die Alternative zur Hoffnung

Art Bohart

Der Lyriker Robinson Jeffers sagte: "Hoffnung ist nichts für Weise". Andererseits sagte Alexandre Dumas, dass die gesamte menschliche Weisheit in den Worten „Warten und Hoffen“ liegt. In diesem Vortrag werde ich mich damit beschäftigen, ob es weise ist, zu hoffen. Ich werde darlegen, dass Hoffnung oft dazu führt, dass wir uns damit beschäftigen, wie weit wir unser eigenes Leben kontrollieren können. Das kann wiederum zu Pessimismus und Hoffnungslosigkeit führen. Im Gegensatz dazu werde ich eine prozessuale Auffassung von Leben vorschlagen. Diese Sichtweise legt den Schwerpunkt eher darauf „mit Veränderungen mitzugehen“. Der Fokus liegt darauf, dem Leben aktiv zuzuhören, zu versuchen die Harmonien im Moment zu finden, zu versuchen offen gegenüber dem zu sein, was da ist, Möglichkeiten wahrzunehmen, wenn sie sich auftun, anstatt zu versuchen Vorhersagen zu treffen oder Kontrolle auszuüben. Es ist eine Art von Gegenwartszentriertheit oder Gegenwarts-Fokusing. Ich werde die Unterschiede zwischen diesen beiden Arten aufzeigen und auch Dysfunktionalitäten von einem gegenwartszentrierten und gegenwartsfokussierten Sein aufzeigen. Das Leben wird schließlich zum „warten“, „zuhören“, teilnehmen, gemeinsam etwas schaffen und „das Gemeinsame teilen“. Das ist kein passives Sein. Es ist allerdings in anderer Weise aktiv als wir oft glauben, aktiv zu sein.

  • Art Bohart, USA
    Emeritierter Universitätsprofessor, Co-Autor oder Mitherausgeber von How Clients Make Therapy Work, Empathy Reconsidered, Humanity’s Dark Side, Constructive and Destructive Behavior. Arbeitsschwerpunkt:  Klient*innen und deren aktive Selbstheilungsfähigkeit sowie Empathie. Stellt derzeit seine dreiteilige autobiografische Novelle fertig, in der er all das sagt, was er seit Jahren sagen wollte.

Traumatisierte und trauernde Klient*innen: können wir ihnen Hoffnung geben?

Ton Coffeng

Wenn wir in Kontakt mit Klient*innen sind, die einen Verlust erlitten oder ein Trauma erlebt haben, ist Hoffnung nicht die erste Assoziation von Therapeut*innen. Die traurigen Geschichten der Klient*innen verleiten nicht zum Optimismus.
Dennoch ist die Arbeit mit diesen Klient*innen erfüllend. Die Geschichten mögen traurig sein, aber der Therapieprozess ist voller Perspektiven. Ich werde Beispiele von Klient*innen bringen, mit denen ich gearbeitet habe.
Therapeut*innen können zu dieser positiven Entwicklung beitragen. Ich werde einige hilfreiche Grundsätze erörtern, wie etwa: Vermeidungstendenz; zwei Stühle; Umschreiben; ein Ort.
Mit Hilfe dieser Grundsätze kann für Klient*innen eine Grundlage ermöglicht werden, um zur Ruhe zu kommen. Sie sind wichtiger als Techniken. Die meisten Konzepte habe ich von Gendlin, Prouty, Bohart und Anderen gelernt. Einige habe ich selbst im Laufe von Therapiesitzungen entwickelt. Diese Grundsätze haben ihren Ursprung sowohl in klientenzentrierter, experienzieller und existentieller Theorie als auch in anderen Orientierungen, aber auch in der Beobachtung der Arbeit anderer Therapeut*innen.
Wahrscheinlich haben Sie auch Ihre eigenen Vorstellungen darüber. Ich freue mich darauf, diese in der dem Vortrag anschließenden Diskussion zu hören.

  • Ton Coffeng, Holland
    Psychiater, Psychotherapeut in freier Praxis in den Niederlanden. Ausbilder, Supervisor , Lehrtherapeut bei der NL Klientenzentrierten Vereinigung (VPeP); Ausbilder im Prä-Therapie Netzwerk. Er war Ausbilder/Koordinator des Focusing Institute, NY und Lehrbeauftragter für Trauma & Dissociation an der Universität Groningen. Veröffentlichungen über Focusing, Gruppentherapie, Trauer, Trauma, Dissoziation.

Hoffnung und Hoffnungslosigkeit: eine emotionsfokussierte Perspektive

Robert Elliott

Das Thema Hoffnung gehört nicht zu jenen Themen, die emotionsfokussierten Therapeut*innen üblicher Weise diskutieren. Ich möchte jedenfalls über unterschiedliche Zugänge zu diesem Thema sprechen und Hoffnung sowie Hoffnungslosigkeit, das entsprechende Spiegelbild, näher beleuchten. Eingangs werde ich mit Hilfe von Sprache und Metaphern verschiedener Sprachen näher auf die Phänomenologie von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit eingehen; dabei werden grundlegende existentielle Themen angesprochen, die sich für Menschen im Laufe von Jahrhunderten aus der Erfahrung mit Hoffnung und Hoffnungslosigkeit ergeben haben.
Anschließend werde ich Hoffnung und Hoffnungslosigkeit vom Standpunkt der emotionsfokussierten Therapie aus betrachten; so wird etwa in EFT Hoffnungslosigkeit als Emotion betrachtet, während Hoffnung als Kognition angesehen wird. Zur Klarstellung werde ich eine EFT-Formulierung von Hoffnung darlegen, die diese als wichtige menschliche Emotion sieht; dabei geht es auch um die anpassungsfähige Hoffnung, die uns hilft in unserem Leben angesichts von Unsicherheiten vorwärts zu kommen, die sekundäre reaktive Hoffnung (vor Unsicherheit auf den Putz hauen), die primäre maladaptive Hoffnung (sich stur an unlösbare Situationen klammern, die sich nicht ändern können) und die instrumentale Hoffnung (fälschlicher Weise aus einem Gefühl von sozialer Verpflichtung oder gesellschaftlicher Konvention heraus angeboten).
Danach werde ich die Rolle von Hoffnung in einem Veränderungsprozess bei Klient*innen mit schwerer Sozialphobie beleuchten, mit denen ich in den letzten 10 Jahren gearbeitet habe: Menschen, die Therapie beginnen, weil ihre Angst vor anderen Menschen ihre wichtigen Lebensziele zerstört hat und die dann stecken geblieben und ohne Hoffnung sind. Ich werde Auszüge klinischer Fallstudien von Klient*innen präsentieren und dabei das Aufkeimen der Hoffnung während der Therapie aufzeigen, wobei ich mich auf Forschungsergebnisse beziehe, hauptsächlich qualitative Beschreibungen aus Veränderungsfragebögen und Ergebnisse aus Studien über die hilfreichen Aspekte von Therapie.
Abschließend werde ich kurz einige spirituell-psychologische Aspekte von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit betrachten, von welchen ich oft in meiner Arbeit mit Klient*innen zehre, dazu gehört auch T.S. Eliot’s Vorstellung von „Warten ohne Hoffnung”.

  • Robert Elliott, Vereinigtes Königreich
    Ph.D., Professor für Psychotherapie an der University of Strathclyde. Mit-Herausgeber der Zeitschrift Person-Centered & Experiential Psychotherapies. Co-Autor von Learning Emotion-Focused Therapy und Autor von über 150 Artikeln. 2008 erhielt er den Carl Rogers Award für Humanistische Psychologie der Amerikanischen Psychologischen Gesellschaft.

Die Herausforderungen des radikalen Encounters bei dringenden Bedürfnissen

Marcia Tassinari

In Anbetracht der hohen Therapieabbruchsrate von Klient*innen unterschiedlicher Einzeltherapierichtungen, erscheint es angemessen, einen anderen Weg vorzuschlagen, um mit psychischem Stress umzugehen, insbesondere im Rahmen von Gesundheitseinrichtungen in der Arbeit mit sozial benachteiligten Menschen. Ich werde zeigen, dass die hohe Abbruchsrate nicht bedeutet, dass Psychotherapie nicht wirkt. Tatsächlich zeigt dies viel mehr, dass eine Veränderung notwendig ist: vom klassischen Paradigma der wöchentlichen Einzeltherapiesitzung über einen langen Zeitraum im Rahmen einer netten, gemütlichen Praxis hin zum Zuhören und Verstehen von Menschen, wo immer sie sich gerade befinden, und zur Aufgeschlossenheit, jegliche Form von Bedürfnissen wahrzunehmen.
Passend zum Thema des PCE 2018 Kongresses „Hoffnung möglich machen – persönliche und gesellschaftliche Herausforderungen“ schlage ich die Entwicklung einer psychologischen Notfallsklinik im Rahmen der Psychologischen Versorgung vor (Plantão Psicológico). Eine solche Einrichtung kann in unterschiedlichen Kontexten eingesetzt werden, bis hin zur Einzeltherapiestunde. In Brasilien besteht diese Einrichtung seit den 1970er Jahren, wurde aber erst in den letzten Jahren an unterschiedlichen Orten angewendet: an allgemeinen und psychiatrischen Krankenanstalten, Grundschulen, auf der Straße, in den Favelas, in Beratungszentren, in der eigenen Praxis, in Schutzzentren etc.
Ich werde auch die Hauptcharakteristika dieses Prozesses vorstellen, indem ich auf die von Rogers postulierten wesentlichen Bedingungen verweise sowie auf aktuelle Erkenntnisse aus Forschung und Praxis. Das Konzept einer psychologischen Notfallsklinik scheint genau den dringenden Bedürfnissen der Menschen zu entsprechen, in nicht wertender Art und Weise gehört zu werden. Wir möchten schließlich das Konzept der „Radikalität des Encounters“ überdenken und diskutieren, um eine authentische Beziehung psychologischer Unterstützung andenken zu können. Wir können durchaus sagen, dass Rogers die Psychotherapie radikalisiert, ihre Grenzen geöffnet und den heilenden Aspekt einer guten Beziehung betont hat. Nun wage ich den Vorschlag, dass die Psychologische Versorgung tatsächlich die Psychotherapie radikalisieren könnte, ihre Grenzen öffnen und die Privatpraxis verlassen könnte, um den Menschen psychologische Hilfe dort anzubieten, wo sie sind. Die Herausforderungen, die meine Kolleg*innen und ich bei der Arbeit mit sozial benachteiligten Menschen erlebt haben, machen die Ausmaße der Bedürfnisse so deutlich, dass Missverständnisse, die über den Begriff des gesunden psychischen Zustand herrschen, aufgeklärt werden müssen. Ich werde einige Beispiele bringen, die bestätigen, dass die Hoffnung, die wir als Expert*innen im Gesundheitsbereich in soziale und psychologische Veränderungen setzen, gerechtfertigt ist.

  • Marcia Alves Tassinari, Brasilien
    Marcia Alves Tassinari, MA, Dr., Brasilianerin, 66 Jahre alt. Seit 1975 personzentrierte Psychologin, spezialisiert als klinische Psychologin, Professorin an der Santa Úrsula University. Ich habe in Brasilien Bücher, Buchkapitel und Artikel veröffentlicht. Seit 1975 nehme ich an vielen nationalen und internationalen personzentrierten Veranstaltungen teil.

Hoffnung schaffen: Wie personzentrierte und feministische/Gender Theorie unsere Theorie und Praxis stärken

Carol Wolter-Gustafson

Der jetzige Zeitpunkt in der Geschichte ist für jene von uns schwierig, die sich dafür entscheiden oder nicht anders können als unsere derzeitige politische, kulturelle, wirtschaftliche, Umwelt- und humanitäre Krise wahrzunehmen. Eine grundlegende schädigende Gemeinsamkeit haben alle diese Krisen, u.zw. sind sie begründet in einem unerbittlich dualistischen Kontext von „wir“ gegen „die Anderen“. Eine derartig spaltende Umgebung als Realität zu erleben, kann sowohl bei unseren Klient*innen als auch bei uns selbst zu Verzweiflung, Zorn, Rückzug, Zynismus oder Hoffnungslosigkeit führen. Es ist eigentlich recht kühn, zu hoffen.
Der Wichtigkeit, die Hoffnung für unsere tägliche Existenz hat, steht allerdings keine entsprechende kritische Analyse von Hoffnung in einem derartig dualistischen Konstrukt gegenüber. Glücklicher Weise sprechen sich die Personzentrierte Theorie, über die Aktualisierungstendenz hinausgehend, gemeinsam mit Feminismus-/Gender-Theorie deutlich gegen diesen gefährlichen dualistischen Kontext aus. Sie bringen uns zur Zusammenarbeit mit den integrativen Kräften der Intersektionalität und einem damit verbundenen, gesunden Engagement für die Welt. Beide tragen dazu bei, der intellektualisierten und objektivierten Hoffnung als Sache, die erreicht werden muss, entgegen zu wirken; die wertende, binäre Konzeptualisierung von Hoffnung versus Hoffnungslosigkeit; und der historisch dekontextualisierte Begriff der Hoffnung, der zu einer privatisierten statt zu einer intersubjektiven, inklusiven und auf Gemeinschaft basierenden Weltanschauung führt.
Ausgehend von meiner Beschäftigung mit dem oft vernachlässigten, aber so wichtigen Verständnis von Macht und epistemologischer Autorität, glaube ich, dass beide radikal intellektuell sind.

  • Carol Wolter-Gustafson, USA
    Ed.D., ist personzentrierte Pädagogin, war an der Lesley University tätig, ist Autorin und Psychotherapeutin. In ihren Publikationen und Vorträgen untersucht sie die sozialen Auswirkungen der PZ Theorie und den Themenkreis von Gender, Embodiment, Neurowissenschaft und Macht. Sie engagiert sich in Going Global Workshops, um Wege aus dem lokale und globale Gewalt schürenden “wir gegen die Anderen”-Denken zu fördern.